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Der fixierte Rhythmus -
Verwechslung von Takt und Rhythmus
                                       Fortsetzung

Franz Liszt

„Sehen Sie diesen Baum, der Wind spielt in den Blättern, entwickelt unter ihnen Leben, der Baum bleibt derselbe, das ist Chopinsches Rubato.

                   

Chopin war der erste, der in seinen Kompositionen diese Manier angab, die seiner Ausführung musikalischer Stücke die eigentümliche Signatur aufdrückte: wir meinen damit das Tempo rubato. Ein hinschwindendes, regellos unterbrochenes Zeitmaß, geschmeidig, abgerissen und schmach-tend zugleich, flackernd wie die Flamme unter dem bewegenden Luftzuge. Später pflegte er die Bezeichnung dieses Tempos bei Veröffentlichung seiner Werke nicht mehr hinzuzufügen, überzeugt, daß, wer überhaupt deren Verständnis besaß, von selbst dieses Gesetz der Ungebundenheit entdecken würde.... Alle Chopinschen Stücke müssen mit jener Art akzentuierter und prosodischer, wiegender Beweglichkeit gespielt werden, deren Geheimnis man nur schwer zu lösen vermag, wenn man nicht ihn selbst zu hören häufig Gelegenheit hatte ... Eifrig schien er darauf bedacht, diese Manier seinen Schülern beizubringen, vorzugsweise aber seinen Landsleuten, denen er mehr noch als anderen seine Art und Weise zu interpretieren wünschte.

Rhythmus ist nie das Einhalten einer Zeit im niedrigen, gewöhnlichen Sinne der Symmetrie als Einförmigkeit. Rhythmus ist der Proportionen-Aufbau im unendlichen Sinne der Spiral-Vibrationen und individualisierenden Asymmetrie, wo Annäherungen der Verhältnisse werden und vergehen.

Rhythmus im hohen Sinne ist niemals mit der abgeschlossenen Entwicklung der Kreise zu vertauschen. Er beginnt in dem guten oder ersten Teil des Taktes und beweist, daß er auch diese unendliche Spiral-Eigenschaft hat, indem er den schlechten oder zweiten Teil des Taktes sich unterwirft. Der zweite Teil ist kürzer als der erste.

In gleicher Weise ist der zweite und dritte Ton in einer Triole kürzer als der einführende Ton.

So sind die Töne in den Motiven nicht gleiche Maschinenstiche, sie sind vielmehr rhythmisch unegal angeordnet.

Diese harmonische Entwicklung läßt nie zwei nebeneinander liegende Takte in der Zeit ganz gleich sein, und keine Phrase kann rhythmisch sein, ohne daß dieser individualisierende Geist der Ungleichheit die Takte moderiert.“

Franz Liszt             



„Wenn Liszt die schwierigsten Bravourstellen, die längsten Cadenzen spielte, die mir früher oder später beim Vortrage jedes anderen Virtuosen wie überflüssiger Virtuosenflitter erscheinen wollten, so machte das bei ihm den Eindruck, als ob er Blüten und Perlen mit vollen Händen ausstreute.“

Carl Reinecke        


F.H. Clark
Gespräche mit Liszt

„Dann spielte mir Liszt eine Tonleiter vor, und ich merkte, daß die Motive in Phrasen gruppiert waren. Jedes Motiv in sich war deutlich und sowohl in agogischem wie dynamischen Sinne durchgehend schattiert. Die Töne klangen nicht einfach gleichmäßig, nicht egal, sondern lagen in der Formreihe einer Kurve und standen zu irgendeinem gegebenen Ton in verschiedenen moderierenden Verhältnissen. Auch hörte ich, daß die Motive in der Reihe ungleich waren. Das gab der Motivenreihe sowie auch den Motiven in sich eine Modulierung.

Das, sagte ich zu Liszt, ist hier gerade so ein Komplex-Rhythmus wie bei den Ozeanwellen, wo die kleinen aus den größeren herausrollen und die größeren eine deutliche Schwingungsform haben.

Darauf spielte Liszt den Des-Dur-Walzer von Chopin.


Nie werde ich vergessen, wie die Taktmotive, plastisch gestaltet, in bezug auf Agogik und Dynamik verschieden abschattiert, in der Phrase lagen, so daß die Phrase eine Form in sich entwickelte, die den Stempel der Vollkommenheit dadurch erhielt, daß die Glieder ungleich waren. Beim Zählen gleicher Takte wäre das unmöglich gewesen, denn jede Individualisierung bedingt ungleiche Gliederung.

Ich sagte: „Wahrlich, diese Plastizität ist gleich der der flüchtigen Weihrauchwolken oder gleich der des Espenbaumes, der sich im Sommerwind an der Quelle im Liebeshain schwingt; so bestimmt und doch so verschieden sind all die Teile, die ich in der komplexen Gruppierung wahrnehme.“

„Es ist selbstverständlich“, sagte Liszt, „daß du jetzt die Evolution in meinem Tempo, die harmonische Entwicklung des Rhythmus merkst; denn diese ist ja nur ein Spiegelbild meiner Technik. Wie du vorhin von dem Ozean sagtest, daß sich dort die Wellchen in den Wellen, die Wellen in den Strömungen drängen, so habe ich im Oberarm Rhythmen, welche die Vorderarm-Rhythmen in sich begreifen; diese letzteren setzen durch ihren eigenen Schwung die Hand-Rhythmen in überflutende Bewegung.

Aber keine diese harmonischen Entwicklungen des Rhythmus könnte vor sich gehen, wenn man den Taktschlag zum Einheitsmaß des Tempos machte oder wenn man an gleiche Zählzeiten dächte oder sie beim Spielen anwendete.

Harmonische Entwicklung des Rhythmus oder des Tempos ist unterbunden und vernichtet in dem Augenblick, wo zwei aufeinanderfolgende Zählzeiten gleich sind.

Zwei benachbarte Takte gleich zu zählen, ist ein Verstoß gegen die Ästhetik – und zwar von der schlimmsten Art.

Gerade in bezug auf dieses Metronomisieren der Takte und Zählzeiten, welches die Musiker im allgemeinen klassisch, rhythmisch nennen, sagt Schiller: ,Die Musik steht noch immer in einer größeren Affinität zu den Sinnen, als die wahre, ästhetische Freiheit duldet.‘

Ja, hier in der unaufhaltsamen Verungleichung der Rhythmen in sich sowie untereinander liegt die Unendlichkeit der Göttlichkeit meiner Kunst.

So schrieb ich als Apotheose am Ende meiner zwölften Symphonischen Dichtung, daß diese ,unaufhaltsame Betätigung des Ideals‘ unseres Lebens höchster Zweck sei.

Die Göttlichkeit der Betätigung beruht auf deren allseitigem, unausgesetztem, ja unendlichem Gestalten, Bilden, Moderieren der Gegensätze nach jeder nur denkbaren Richtung hin. Genau und absolut dies haben wir in dem Periodenvortrag der Rhythmenformen.“

Dann spielte mir Liszt sein „Waldesrauschen“ vor, wobei er sagte: Jetzt will ich dir das wirkliche Sprudeln einer Quelle zeigen.

Es erschien mir als die absolute Verkörperung der Grazie in der Kunstleistung. Niemals sah ich einen Bruch oder Schlag, Fall oder Wurf, Schwingen oder Schwanken, sondern unaufhörlich sprudelten spontane, ausgedehnte, dreifältige Impulse hervor – tatsächlich ein Mixtum compositum im Energienguß – die sich durch diese komplexen Wellenformen und vielfältig verschlingenden Linien modulierten, – ein wirklicher Lebensfluß.“

Was ist denn nun eigentlich der Zweck der Fingerübungen? fragte ich.
„Jede mögliche Fingerübung beim Klavierstudium hat keinen anderen Zweck“, erwiderte Liszt, „als den menschlichen Willen zu demoralisieren und ihm allen Sinn für etwas Göttliches zu nehmen, jedes Streben des Menschen nach Harmonie und das Musikalische in der Tätigkeit zu vereiteln. Dies ist von dem verkehrten Instinkt erfunden worden, um dem ästhetischen Geiste des Einigenden, des Gliedernden zu opponieren und jedem Sehnen nach einer wahren musikalischen Virtuosität eine Schranke zu setzen.

All diese Fingerkunst stammt also allein von Leuten her, die sich nur unberufen in die Sache hineinmischten, ohne den Kern der Freiheit erfaßt zu haben.“

Dann spielte mir Liszt seine „Irrlichter“ vor, und es wurde mir immer klarer, daß die Harmonie sich aus Kontrasten entwickeln müsse und nie in einfacher Symmetrie bestehen könne. Das egale Taktieren ist nur Einförmigkeit und wirkt jeder freiheitbildenden Entwicklung entgegen.“

                   
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